Art Brut, was ist das?
Bei Art Brut geht es Kunst, die von Menschen geschaffen wurde, die keine offizielle Kunstausbildung haben. Sie arbeiten vielmehr aus einem inneren Bedürfnis heraus oder verspüren einen persönlichen Drang, sich auszudrücken. Dazu gehören autodidaktische Künstler, Menschen mit psychischen Problemen, Gefangene oder andere Kreative, die außerhalb der etablierten Kunstwelt agieren. Ihre Werke sind oftmals pur, ungehemmt und originell, also frei von künstlerischen Konventionen oder Trends. Der französische Künstler Jean Dubuffet führte 1945 den Begriff Art Brut ein, der in Deutschland auch als Outsider Art oder Rohe Kunst bekannt ist.


Die wunderbare Welt bizarrer Kunst
Der Gründer des Museums, Patrick Michel, führt uns durch die neun Ausstellungsräume und erzählt uns die Geschichte der Künstler und ihrer 2 bis 3 Werke, die hier ausgestellt werden. Eine Kurzbiografie hängt ebenfalls neben den Exponaten, allerdings nur auf Französisch (Englisch ist „in Arbeit“). Aber eigentlich braucht man keine Erklärung. Voller Staunen und vor allem großer Verwunderung gehen wir durch die Räume. Wir entdecken ein riesiges „Gemälde“ aus Tausenden von Wäscheklammern sowie akribisch angefertigte Zeichnungen, die lediglich aus Punkten oder Linien bestehen. Es gibt einen „Balken-Hund“ auf Rädern und im Hofgarten ein meterlanges Krokodil aus Beton und Muscheln.
Aus Müll wird Kunst
Sehr beeindruckend sind auch die Werke von Nek Chand, der sein Leben lang Skulpturen von Menschen, Tieren und andere Kreaturen aus weggeworfenem Materialen wie zerbrochener Keramik, alten Fahrrädern, Spiegeln, Drähten und kaputten Töpfen herstellte. Im Rock Garden im indischen Chandigarh stehen tausende Werke von ihm – und somit ist der Ort nach dem Taj Mahal die am zweithäufigsten besuchte Sehenswürdigkeit in Indien. Eine Wahnsinnsarbeit! Das erinnert uns an das Lebenswerk eines französischen Briefträgers, der in der Drôme den Palast seiner Träume errichtete.
Links: Werk von Nek Chand im Rock Garden (Indien), rechts: Palais Idéal in der Drôme
Schaurig-schönes Finale
Der letzte Raum, den wir besuchen, ist Wechselausstellungen gewidmet. Derzeit sind die faszinierenden Skulpturen von Sabrina Gruss zu sehen. Sie sammelt Knochen, kleine Tier- und Vogelschädel und verarbeitet sie zu fantasievollen Kreationen. Wunderschön und zugleich ein wenig makaber. Die Ausstellung läuft noch bis August 2025.
Eine aus dem Ruder gelaufene Hommage an den Vater: das zweitgrößte Museum für Outsider Art in Frankreich
Interessantes Detail des Musée d’Art Brut: Es befindet sich im Haus von Fernand Michel (1913-1999), einem autodidaktischen Künstler, der Skulpturen aus Zink herstellte. Um das Werk ihres Vaters Fernand Michel zu ehren und die Erinnerung an ihn lebendig zu halten, haben Patrick und Denys beschlossen, die Familienwerkstatt in ein Atelier Musée zu verwandeln.
Sie erweiterten die bestehende Sammlung auf etwa 2.000 Werke, von denen 750 von 250 Art Brut-Künstlern aus aller Welt stammen. Die Philosophie der engagierten Brüder: möglichst viele Werke an einem Ort zu versammeln. Und das macht sie – nach dem LaM in Lille – zum zweitgrößten Museum für Outsider Art in Frankreich.
Ein ungemein attraktives Museum
Kurzum: Auch wenn ihr keine großen Museumsfans seid, solltet ihr hier unbedingt mal vorbeischauen. Denn dieses Museum überrascht, erstaunt, erschreckt, animiert zum Nachdenken und regt die Fantasie an.
Musée Art Brut, 1 Rue Beau Sejour, weitere Infos
Geöffnet von Mittwoch bis Sonntag, 10 bis 13 Uhr und 14 bis 18 Uhr. Eintritt 8 €.
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Text: Josée Schouten, Fotos: Werke aus der Kunstgalerie und dem Atelier/Werk von Fernand Michel ©Musée d’Art Brut, weitere Fotos: Josée Schouten, Daniëlle van Poppel, Valerie Paduano, depositphotos.com
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