Vom patois (lokaler Dialekt) ist zwar in der französischen campagne so gut wie nichts mehr übrig geblieben, doch viele Gegenden klammern sich neuerdings mit einem nostalgischen Lokalpatriotismus an Wörtern fest, die im Rest des Landes nicht vorkommen. Das schönste und lebendigste Beispiel dafür ist das Wort „chocolatine“, mit dem die Franzosen im Südwesten ein Schokoladengebäck bezeichnen. In allen anderen Regionen Frankreichs heißt das süße Stück jedoch pain au chocolat.
Die Karte der Chocolatine-Befürworter
Chocolatine-Anhänger treten vom Atlantik (Charente-Maritime, Les Landes, französisches Baskenland) bis zum Mittelmeer auf (Aude) sowie von den Pyrenäen, dem Gers, Lot-et-Garonne bis zur Dordogne und sogar zum Cantal, in der Auvergne. Über die genaue Grenzlinie ist man sich nicht ganz einig, deshalb wurde eine Website ins Leben gerufen (so wie es diese auch für die Anzahl an Küssen per Region gibt), auf der die Franzosen über ihr Departement abstimmen können. Laut dieser Angaben sieht die Verteilung folgendermaßen aus:
Karte aus dem „Atlas du français de nos régions“ von Mathieu Avanzi (Copyright)
Brioche oder Blätterteig?
Der Grund für diese Sprachfrage kann natürlich auch in einer kulinarischen Diversität zu suchen sein: Im Südwesten Frankreichs wird ein Schokoladenteilchen häufiger aus Brioche-Teig hergestellt, währenddessen es woanders ein Croissant-Teig ist. Doch die Diskussion kümmert sich um solche Details schon lange nicht mehr. Im Südwesten ist das Schokogebäck zu einem Symbol für die lokale Identität geworden. So wie Rugby und Cassoulet. Der eher beschauliche gastronomische Südwesten wagt es, den Kampf mit dem Besserwisser Paris und dem Rest von Frankreich aufzunehmen.
Spaß-Aktion: Zur Strafe muss man im Südwesten für ein pain au chocolat beim Bäcker mehr bezahlen (FB-Foto vom Comité de Défense de la Chocolatine)
Au pays des chocolatines
Inzwischen hat sich das Ganze zu einem lebhaften und spaßigen Sprachwettkampf entwickelt, an dem sich auch gerne regionale Marken beteiligen. Sie produzieren Produkte und Kleidungsstücke so wie diese T-Shirts aus Bordeaux, die mit ‘Au pays des chocolatines‘ bedruckt sind. Natürlich greifen auch die sozialen Medien diese witzige Kampagne auf, wodurch sie ein großes Publikum erreichen. Inzwischen machen Fotos von Bäckern aus dem Südwesten Frankreichs die Runde, die zwei Preise ausschreiben: Ein Pain au chocolat kostet 1,50 € und eine Chocolatine nur 1 € (siehe Foto oben). Man bekommt zwar genau dasselbe, doch der unverschämte oder auch nur unwissende Pain au chocolat-Besteller bezahlt eben 50 Cent mehr.
T-Shirt von Les Pavés bordelais, Tassen und Pullis von Baaam
Poche oder sac plastique?
Neben dem Schokoladengebäck existieren noch andere Wörter, welche die Gemüter erhitzen, beispielsweise die Plastiktüte, die im Südwesten poche heißt, in Nordfrankreich jedoch sachet, in der Bretagne dagegen pochon und sac im restlichen Frankreich. Für Interessierte liegt seit letzter Woche ein Atlas du français de nos régions (2017) im französischen Buchhandel. Der belgische Sprachwissenschaftler Mathieu Avanzi entwickelte dafür Karten mit Regionalvarianten französischer Wörter.
Karte aus dem „Atlas du français de nos régions“ von Mathieu Avanzi (Copyright)
Der Belgier startete damit die neueste Sprachdiskussion in Frankreich: Sollte man nun zu einem Bleistift besser crayon de papier oder crayon à papier sagen? Die Académie française hat keine Zweifel: Crayon à papier ist die einzig richtige Variante. Doch in der Auvergne und der Provence sind sie da ganz anderer Meinung.
Seid ihr an eurem Ferienort auch Beispielen von regionalem Französisch begegnet? Teilt sie dann mit uns!
Text: Nicky Bouwmeester/Ulrike Grafberger, Foto (links oben): CC/Stijn van Nieuwendijk von Wat aten zij?
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Stefan31470 -
Herrlich ! Ich habe bis 2021 20 Jahre in Südwestfrankreich gelebt, von diesem Kulturstreit aber nichts mitbekommen. Natürlich gab es bei uns nur chocolatines, ein pain au chahocolat besteht aus Briocheteig mit Kakao und/oder callets darin ;-). Allerdings: Zurück in Hamburg gibt es bei uns auch nur Karbonaden, und nicht etwa Kotelettes.